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20.11.2024

Sexueller Übergriff: K.O.-Tropfen und Pipette sind keine "gefährlichen Werkzeuge"

Wer jemandem per Pipette so genannte K.O.-Tropfen ins Glas gibt, um die Person sexuell gefügig zu machen, nutzt kein "gefährliches Werkzeug" im Sinne des § 177 Absatz 8 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) unter Verweis auf Wortlaut und Gesetzessystematik entschieden, wie die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) mitteilt. Allerdings liege bei diesen Mitteln die Tatvariante des § 177 Absatz 8 Nr. 2b, "Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer", nahe.

Im konkreten Fall hatte ein Mann während eines alkoholgetränkten Abends sowohl seiner eigenen Verlobten als auch der neuen Partnerin seiner Ex-Freundin Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB; gemeinhin bekannt als "Liquid Ecstasy" und "K.O.-Tropfen") mit einer Pipette ins Glas geträufelt, um sie sexuell enthemmt und gefügig zu machen. Die erhoffte Wirkung trat ein, es kam zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden Frauen, an denen er sich später durch oberflächliche Berührungen beteiligte.

Im Verlauf des Abends verschwand eine der Frauen. Sie wurde später im Garten des Wohngrundstückes auf der Erde liegend, schlafend, nicht ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet gefunden. Das Landgericht (LG) Dresden hatte zu ihrem Zustand festgestellt: "Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit bestand das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit und das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens."

Die Vorinstanz verurteilte den Mann wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs nach § 177 Absatz 1 und Absatz 2 Nr. 1 (sexuelle Nötigung), Absatz 5 Nr. 1 (Gewalt), Absatz 8 Nr. 1 (gefährliches Werkzeug) StGB und wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Absatz 1 Nr. 1 StGB (Beibringung von anderen gesundheitsschädlichen Stoffen).

Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und sexueller Nötigung unter Anwendung von Gewalt hielt vor dem BGH zwar stand – nicht aber die wegen der Qualifikation des gefährlichen Werkzeugs nach § 177 Absatz 8 Nr. 1 StGB, wie die BRAK berichtet.

K.O.-Tropfen stellten für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lasse sich zunächst schon nicht mit dem Wortlaut der Norm in Einklang bringen. Bei einem Werkzeug handele es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet werde – also nur feste Körper und keine Flüssigkeiten.

Auch die Gesetzessystematik spreche gegen ein solches Verständnis: Das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs werde auch in anderen wortlautgleichen Qualifikationstatbeständen genutzt. Für denjenigen des § 250 Absatz 2 Nr. 1 StGB (schwerer Raub) habe der BGH bereits entschieden, dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, kein (gefährliches) Werkzeug sei. Dann könne hier nichts anderes gelten. Vielmehr handele es sich um ein "Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes" § 224 Absatz 1 Nr. 1 StGB (gefährliche Körperverletzung).

Dass eine Verurteilung nach der Qualifikation aufgrund teleologischer Gerechtigkeitserwägungen nahe liege, reiche nicht aus. Der Wortlaut sei nach dem Bestimmtheitsgrundsatz stets die Grenze; eine solche Auslegung würde diese hier sprengen. Anders als die Vorinstanz meine, könne die sedierende Wirkung auch nicht mit einem "Holzknüppel" verglichen werden.

Auch die Pipette selbst könne als fester Gegenstand nicht als gefährliches Werkzeug gewertet werden. Denn der Täter habe die Pipette nur als Dosierungshilfe genutzt und nicht direkt damit die körperlichen Schäden hervorgerufen. Die Gefährlichkeit gehe von den Wirkungen des Mittels im Körper, nicht jedoch von der Pipette aus.

Nun muss sich eine andere Strafkammer des LG Dresden erneut mit dem Fall befassen. Dieser gab der BGH folgenden Hinweis mit: Nach den Feststellungen liege es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Absatz 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte. Die Situation, die das LG festgestellt habe, lasse es nicht als ausgeschlossen erscheinen, hier eine konkrete Todesgefahr anzunehmen. GBH berge, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich. Dies sei dem Angeklagten auch bewusst gewesen. Zudem sei es trotz des Verböserungsverbots bei einer Revision des Angeklagten möglich, die Qualifikationstatbestände lediglich auszutauschen.

Bundesrechtsanwaltskammer, PM vom 19.11.2024 zu Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2024, 5 StR 382/24